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Tanzen im Piemont

von Michel Wassner

Wenn Victoria Kälin tanzt, steht die Welt still. Mit ihrem Partner Lukas Hämmerli schwebt die Freienbacherin über das Parkett. In wenigen Tagen vertritt das Paar die Schweiz an den World Winter Games von Special Olympics im Piemont. Trainiert wird in Rüschlikon – unter Leitung von Christine Hämmerli. Irene Nanculaf von Special Olympics Schweiz ist auch da. Sie beobachtet die Performance. Immer wieder ein Nicken. Anerkennung.

Auf der Tanzfläche sieht man viel Freude. Und Konzentration. Zwischendurch gibt es klare Anweisungen von Coach Hämmerli. «Es muss das Gefühl der Umarmung geben. Ihr macht das miteinander.» Aber auch Lob. «Das sieht schon sehr gut aus.» Zuerst Walzer, dann Cha-Cha-Cha.

Griff nach den Sternen

Bei den World Winter Games tritt das Team Switzerland in den Sportarten Ski Alpin, Snowboard, Schneeschuhlaufen, Langlauf, Eiskunstlauf, Eisschnelllauf, Unihockey an. Und eben: Tanzen. Kälins Disziplin ist «Ballroom », jene Kategorie, die Standardtänze umfasst.

Christine Hämmerli betont, worauf es ihr ankommt: «Das Wichtigste ist Freude am Tanzen zu haben.» Aber natürlich geht es auch darum, international zu zeigen, was die Schweiz auf dem Parkett im Stande ist zu leisten.

Die Sportart ist neu Bestandteil der World Winter Games. Also Walzerschritt im Schnee? «Tanzen kann man drinnen. Und die Sommer World Games haben schon sehr viele Sportarten. » Bei den Winterdisziplinen hatte es noch Platz. Irene Nanculaf ergänzt: «Deshalb haben wir zum Beispiel auch Unihockey im Winter.» Der Grund also: rein pragmatisch.

Keiner reist an so ein Turnier ohne Ambitionen. Victoria Kälin greift nach den Sternen. «Ich wünsche mir, dass wir das Turnier gewinnen», sagt sie, lacht. «Gleich Gold. Für die Schweiz. Für unser Land», ergänzt Christine Hämmerli und meint das nicht ganz ernst. Die Konkurrenz ist hart. Aber sie denkt auch an die Zukunft. «Das Ziel ist 2029 in der Schweiz wieder dabei zu sein. Mit einer anderen Tanzart.» Da findet die Heim-WM in Graubünden statt, Eröffnungsfeier in Zürich, getanzt wird in Lenzerheide.

Ein fairer Wettkampf

Vor dem Startschuss steht noch viel auf dem Programm. Zur Vorbereitung geht’s im Februar ins niederösterreichische Hainfeld. Die Generalprobe. Das Training lief noch bis am 5.März. Am 7. März folgt die Reise nach Turin. Eröffnungsfeier am 8., grosse Zeremonie inklusive. Mit allen olympischen Elementen. «Die Athleten sprechen den Eid, his-sen die Fahne, entfachen das Feuer. Jede Länderdelegation läuft einzeln ein», beschreibt Irene Nanculaf. Beim Gedanken mit der Schweizer Fahne die Pala Alpitour zu betreten, strahlen Kälins Augen. Sie ist stolz.

Die Wettkämpfe dauern vom 9. bis 15.März. Getanzt wird in Bardonecchia. Hämmerli erklärt den Ablauf: «Die sogenannten Divisionings sind am 11. und 12. März. Am 14. oder 15. tanzen wir dann das Finale.» Unter «Divisioning» versteht man die Einteilung in homogene Leistungsgruppen – eine Besonderheit von Special Olympics. «Alle Athleten, die in einer Kategorie starten, sind 10 bis 15 Prozent auf dem gleichen Level», erklärt Nanculaf. So sei es ausgeglichener. Aber stets gilt: «Jeder gibt immer sein Bestes. Es ist nicht so, dass du beim Divisioning absichtlich schlecht tanzt, damit du in eine schwächere Gruppe kommst und eine höhere Chance auf die Goldmedaille hast.» Fiele das auf, droht die Disqualifikation. Fairness ist das oberste Prinzip. «Und nur so bleibt es auch spannend. Pro Division wird jeweils eine Goldmedaille vergeben», so Nanculaf.

Eine spontane Entscheidung

Bis zum Auftritt im Piemont war es für Victoria Kälin ein langer Weg. Er begann bei der Mutter. «Sie hat früher getanzt. Dann habe ich mal zugesehen und ein bisschen mitgemacht.» Es gefiel ihr. Victoria begann Unterricht zu nehmen. Das Tanzen macht sie glücklich. «Ich fühle mich wohl dabei.» Ihren Tanzpartner kennt sie schon seit der Schule in der Stiftung Büel. Lukas Hämmerli erzählt: «Wir hatten die gleichen Lehrer. Wir haben mega Spass, wenn wir miteinander etwas unternehmen. » Zum Beispiel ins Kino gehen oder zum Bowling. Victoria ergänzt: «Wir waren auch zusammen in der Disco in Zürich Stadelhofen.» Auch an der Fasnacht in Bäch haben sie schon miteinander getanzt. Beim Spaghettiplausch. Damit es auf der Tanzfläche funktioniert, sollte man sich gut kennen.

Christine Hämmerli schlägt den Bogen zu den World Winter Games. «Ich habe Viktoria gefragt, ob sie mitmachen möchte und es kam ein spontanes Ja. Wir mussten uns schnell entscheiden. » Am 19.April 2024 begann das gemeinsame Training, anfangs einmal die Woche. Es wurde immer intensiver. Sie machten zusammen Tanzferien im Berner Oberland. Dann ein spontaner Wettbewerb in München. Aufregend. Es war der erste Auftritt im Ausland.

Einmaliges Erlebnis

Christine Hämmerli weiss, wie es ist, eine Goldmedaille in Händen zu halten. Einst tanzte sie selbst Turniere, Boogie-Woogie und Disco-Fox. Das Edelmetall gabs im Disco-Fox, 1995 war das. An der Schweizermeisterschaft wurde sie einmal 7. und einmal 8. Seit bald 30 Jahren ist sie ausgebildete Paartanzlehrerin. «Das macht mir sehr viel Spass.» Als Coach für die Winterspiele wurde sie angefragt. «Dann haben wir in der Schweiz nach Tanzpaaren gesucht. Das war nicht ganz einfach, weil wir erst dabei sind, den Tanzsport bei den Special Olympics Winter Games aufzubauen. » Irene Nanculaf ergänzt: «Turniere in der Schweiz gab es noch nicht. Es geht direkt an die Weltspiele.» 2029 finden die in der Schweiz statt. «Da muss man alle Sportarten anbieten. Deshalb beginnen wir jetzt, das Tanzen langsam aufzubauen.» Das macht Victoria und Lukas zu Pionieren.

«Ich kann es kaum erwarten, der Welt zu zeigen, dass wir auch in der Schweiz tanzen», sagt Christine Hämmerli. «Es ist eine grosse Ehre für mich, ein Tanzpaar darauf vorzubereiten. Es ist wunderschön, diese Chance zu bekommen. Ich habe zwei megalässige Athleten, mit denen es sehr viel Spass macht zu arbeiten.» Auch die Fortschritte zu sehen, die Entwicklung mitzuerleben, ist für sie eine Ehre. «So ein Turnier ist sehr viel mehr als nur Tanzen. Die Stimmung ist einmalig.» Und fast noch wichtiger: «Es ist ein Miteinander. Man freut sich auch für den anderen, wenn er gewinnt.» Irene Nanculaf ergänzt: «Im Fokus steht das Menschsein.» Christine Hämmerli blickt auf intensive Monate zurück. «Es ist so toll, was wir in dem Jahr zusammen erlebt haben.» Victoria: «Ich habe viele Menschen kennengelernt.» Alles dank des Tanzens. Das Paar hat auch schon viele Fans. «Wir erleben sehr viel Solidarität und Freude. Die Leute freuen sich mit uns», sagt Hämmerli.

Die goldenen Momente

Die Trainerin blickt auf ihre Athleten. «Mein Fokus ist es, die beiden zu begleiten. » Nicht nur nach Italien. Sie spricht von Integration. «Sie gehen in die Schule, dann in die Lehre. Nach der Lehre ist das Lernen vorbei. Die Frage ist, wie es dann weitergeht.» Weil sie etwas beitragen wollte, gründete Hämmerli zunächst eine Bowlinggruppe, machte die Ausbildung zum Coach, nahm an Turnieren teil. Ihr Ziel: «Weiterbildung über Sport.» Inklusion solle mehr sein als nur ein Schlagwort.

Und jetzt die Winter Games. Fast schon gerührt sagt Hämmerli: «Wenn beide auf der Bühne stehen und tanzen, habe ich meine Goldmedaille.» Victoria Kälin strahlt. Das tut sie oft. Gut so. Wertungsrichter mögen das. «Ich freue mich schon mega auf die Spiele.» Keine Angst, Nervosität? Die Tänzerin schüttelt den Kopf, Christine Hämmerli schmunzelt. «Das überlassen sie mir. Ich glaube, ich bin nervöser als meine Athleten. » Aber das gehört zu den Aufgaben des Trainers. Damit Athletinnen wie Victoria Kälin glänzen können.

An den World Winter Games von Special Olympics vom 8. bis 16. März erleben besondere Athletinnen und Athleten wahres Olympisches Flair und das im wunderschönen Piemont. Mit dabei Tänzerin Victoria Kälin aus Freienbach. Ein Besuch beim Training.

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